Aufenthalt von Anne

 

Fast vier Wochen verbrachte Anne insgesamt hier und während dieser Zeit war programmmäßig dementsprechend viel geboten – von einer kleinen Auswahl werde ich hier berichten. Zuerst muss aber erwähnt werden, dass Anne als mein „Postbote“ mir nicht nur eine kleine Reiseapotheke von daheim mitgebracht hat (ich werde inzwischen als die zweite Apotheke Kafountines angesehen^^), sondern mich auch mit Plätzchen und Äpfeln versorgt hat – Dinge, die man hier erst wieder so richtig schätzen lernt…

Gleich am ersten Wochenende ihres Aufenthaltes, folgten wir der Einladung des Sportlehrers Moustapha Diedhiou und seiner Familie nach Ziguinchor, einer der größten Städte der Casamence nahe der Grenze zu Guinea-Bissau. Wir verbrachten dort drei Tage und nutzten die Gelegenheit sofort, uns mit afrikanischen Stoffen einzudecken (sind dort wesentlich billiger als hier in Kafountine), aus denen ich inzwischen fünf verschiedene Ensembles habe schneidern lassen: Diese bestehen für Frauen normalerweise aus einer „Pagne“ (wie ein Wickelrock, den man auf keinen Fall falsch wickeln darf, wenn man gut angezogen sein will^^), einem „Boubou“ (Bezeichnung für jegliche Art von Oberteil) und eventuell noch einem „Foulard“ (Schal, der unglaublich kunstvoll um den Kopf gewickelt wird; beherrsche die Technik inzwischen auch mehr oder weniger gut^^). Das Tragen der Ensembles ist dabei keineswegs auf die ältere Generation beschränkt, sondern wird auch unter den jungen Mädchen sehr geschätzt. Allerdings greift die Jugend auch mehr und mehr auf die sogenannte „moderne“ Kleidung zurück, was von den Älteren teilweise nicht sehr befürwortet wird. In Ziguinchor besuchten wir neben dem riesigen Markt (von Stoffen, Kleidung, Schuhen, bis jeglicher Art von Nahrungsmitteln findet man hier wirklich alles) auch den Fischmarkt, auf dem wir uns mit Calamari eindeckten und der Abfahrt der Fähre nach Dakar beiwohnten (diese legt 2 Mal pro Woche ab und stellt die angenehme Alternative zum beschwerlichen und langen Landweg in die Hauptstadt dar).

Auf dem Grundstück der Familie Diedhiou hat eine schweizer Hilfsorganisation ein, meiner Meinung nach, äußerst sinnvolles und gutes Projekt initiiert, das ich hier vorstellen will (anfangs ist dazu ein Überblick über das Verhältnis der Casamence zum Rest der Republik notwendig):

Zuerst muss dabei erwähnt werden, das die durch Klima und Lage begünstigte Casamence als die „Vorratskammer“ des ganzen Senegal gilt. Das ganze Jahr über reifen Früchte und können abgeerntet werden, Bodenschätze sind en masse vorhanden und der Ozean und der riesige Casamence-Fluss machen das Gebiet zu einer wasserreichen Gegend, in der die Erde den Menschen alles bietet, was sie zum Leben brauchen. Theoretisch gesehen müsste es sich um eine der reichsten Regionen Senegals handeln. Tatsächlich aber ist die Bevölkerung hier im Vergleich zum Norden ziemlich arm und Lebensstandard und Infrastruktur hinken weit hinter dem Rest des Landes hinterher. Gründe hierfür? Kann ich geben, muss aber hinzufügen, dass es sich um meine subjektive Sicht handelt: Einmal wäre da der seit Jahrzehnten schwelende Konflikt zwischen Regierung und den ursprünglich um Unabhängigkeit ihrer Heimat bemühten Rebellen der Casamence zu nennen. Die Situation zwischen den beiden Konfliktparteien hat sich nach mehreren Friedensabkommen bereits deutlich gebessert, doch kommt es immer noch zu Angriffen und Bedrohungen von Seiten der Aufständischen, von denen Einheimische genauso betroffen sind wie Touristen. Mögen die ursprünglichen Gründe für die Revolte eventuell gerechtfertigt sein (Benachteiligung/Ausbeutung der Casamence von Seiten der Regierung im Vergleich zu anderen Regionen des Senegal), so schadet diese heute leider der eigenen Bevölkerung. Die Regierung stellt diese Region als „gefährlich und unterentwickelt“ dar und nährt das Misstrauen der „Nordlichter“ gegenüber dem Süden, den man mit einem hochbegabten, revoltierenden (=unglauchlich hohe Entwicklungskapazität), aber von seinen Eltern (=der Regierung) nicht anerkannten und stiefmütterlich behandelten Kind vergleichen kann. Die Tatsache, die Bewohner zu bedrohen (es gab einige Dörfer in der Casamence, in denen aufgrund der Bedrohung durch die Rebellen bei den Präsidentschaftswahlen am 26. 02. nicht gewählt wurde) und bei Ungehorsam teilweise sogar zu ermorden, hat mit den ursprünglichen Unabhängigkeitsbestrebungen leider nicht mehr viel zu tun und basiert meiner Meinung nach rein auf Macht- und Profitgier. Diesen immer noch schwelenden Konflikt sehe ich als ein Hindernis für eine schnellere Entwicklung in der Casamence an. Der andere wird durch den Reichtum und die Fruchtbarkeit der Erde selbst hervorgerufen: In einer Region, in der man mit dem täglichen Verkauf der Früchte des eigenen Gartens den Eigenbedarf decken kann und gleichzeitig auch noch Geld verdienen kann, besteht eine Tendenz zu einem verminerten Interesse an Nachhaltigkeit, Entwicklungsarbeit und oft auch Bildung. „Uns geht es doch auch so gut.“ – Diese Haltung zu widerlegen und den Sinn eines „Denkens an den folgenden Tag“ zu erklären, kann sehr, sehr anstrengend sein! Mir nach das zweite große Hindernis. Das dritte stellt das teilweise übereilte und unüberlegte Engagement einiger Hilfsorganisationen, Unternehmen und Regierungen der Industriestaaten dar, die auf eine sogenannte „Einbahnstraßen-Hilfe“ setzen: D.h. Geld/Material wird geschickt, ohne dass die Bevölkerung einbezogen wird bzw. mitwirkt. 3 Probleme gehen daraus hervor: Erstens entwickelt die Bevölkerung keine „Beziehung“ zu den Gütern, die teilweise ungenutzt verrotten. Zweitens kann sich eine „Die Weißen geben ja eh das Geld“-Haltung einstellen. Drittens wird der Bevölkerung auch das Gefühl gegeben, alleine nichts auf die Beine zu stellen, immer auf einen „großen Bruder“ angewiesen zu sein – vielleicht am fatalsten. Nun aber zum Projekt zurück: Die erwähnte Hilfsorganisation hat einer Gruppe von Frauen einen Kredit gewährt, mit dem eine kleine Firma errichtet wurde: Dort werden – unter strengen hygienischen Richtlinien und mit modernen Maschinen – Früchte getrocknet und Säfte hergestellt – die immergrüne Casamence bietet dazu zu jeder Jahreszeit genügend „Material“. Die Frauen sind also Anteilseigner und zugleich Angestellte, die sich mit Fortbildungen durch die Leute der Hilfsorganisation, aber auch der örtlichen Universität weiterbilden. Eine Arbeit, die nicht nur „Früchte verarbeitet“, sondern auch „Früchte trägt“, wovon ich mich selbst überzeugen konnte (Anne und ich haben unsere Nahrung für dieses Wochenende hauptsächlich auf getrocknete Mangos, Bananen und wahlweise Ditta-/Bissap-/Buisaft umgestellt^^).

Knapp eine Woche später vollzog sich der erste Abschnitt der Hochzeit von Moustapha Diedhiou und seiner Verlobten Mariama, seiner ehemaligen Schülern. War ich erst über diese Art von Beziehung überrascht, hab ich mich inzwischen daran gewöhnt, da Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern hier durchaus normal sind und es davon mehrere auch an unserer Schule gibt. Da uns die beiden zu den Mitgliedern ihrer Familie in Ziguinchor zählen, waren Anne und ich dazu eingeladen. Hier will ich kurz die Etappen einer afrikanischen Heirat erklären (variiert allerdings von Volksgruppe zu Volksgruppe): Nach der Erlaubnis beider Elternpaare folgt die Zeremonie in der Moschee, bei der die Verwandten und der Imam anwesend sind, nicht aber das Brautpaar selbst. Dabei wird von der Familie des Mannes eine Menge an Kola-Früchten an die Familie der Frau übergeben (bei den Christen wird diese Zeremonie durch die Übergabe von Wein im Hause der Frau ersetzt). Bei den Muslimen wird danach die Frau, von einen „Foulard“ verhüllt, von den tanzenden Gäasten zum Haus des Mannes begleitet, wo sie von nun an leben wird. Anschließend folgt die standesamtliche Heirat und die eigentliche Hochzeitsfeier mit Trommelspielern, Tanz und Essen die ganze Nacht hindurch. Was Tapha und Mariama angeht, fand an diesem Tag im Heimatdorf von Tapha die Übergabe der Kola-Früchte statt, die Mariama bei sich zu Hause mit uns zwei „Toubab“ (=Weißen) und ihren Freundinnen feierte. Da die Hochzeitsfeier leider erst im Dezember stattfinden wird, werden wir daran nur mit Videokonferenz-Liveschaltung teilnehmen können;-).

Einen anderen Tag verbrachten wir bei Khemo, einem Bekannten im Nachbarort Abéné. Für die Tatsache, einen ganzen Tag bei jemandem zu verbringen, gibt es hier sogar einen eigenen Ausdruck, „faire le yendou“ (das zeigt bereits die Bedeutung dieser Sitte für die Bevölkerung hier; dementsprechend schwierig ist es auch „kurz auf Besuch“ bei jemandem vorbeizuschauen, da daraus normalerweise mehrere Stunden werden^^). Dort gibt es eine der Attraktionen hier in der Gegend zu bestaunen: einen „Baobab“ (=Mammutbaum), der aus 6 miteinander verwachsenen Mammutbäumen besteht und deshalb auch „Bantanworow“ (=6 Mammutbäume) genannt wird. Früher gab es dort eine alte Frau, der man Wünsche anvertrauen konnte. Wurden sie danach Wirklichkeit, kehrte man zurück um sich bei ihr mit einer kleinen Spende zu bedanken. Für die Einheimische hier ein magischer Baum, der mit seinen vielen kleinen Nischen auch locker als Mehrfamilienhaus dienen könnte;-)

Ein weiteres Highlight sollte die „Kirmes“ der katholischen Gemeinde Kafountines darstellen. Ein Wochenende mit Chorkonzert, Tanzabend, Spielenachmittag für die Kleinen, Essen „en pagaille“ (=im Überfluss) für die Großen. Was das Essangebot angeht, habe ich festgestellt, dass die Christen bei großen Anlässen besonderen Wert auf Schweinefleisch und Palmwein legen, da diese beiden für Muslime verboten sind. Dementsprechend verdattert werde ich immer angschaut, wenn ich sage, dass ich Schweinefleisch als Christin nicht sonderlich mag;-). Nachdem ich am ersten Konzert unseres Chores wegen meiner Krankheit nicht teilnehmen konnte, sollte dies also nun meine Premiere sein. Nach einigen Komplikationen bezüglich des richtigen Anlegens der blauen, traditionellen Pagnes (was macht man aus den Infos: 2 Konzertteile, 2 Panjes, ein weißes T-Shirt, Perlen?^^) und dem Schreiben eines kleinen Spickers auf die Handinnenfläche für das „Einzugslied“ (ohne die Textblätter hier zu singen ist fast unmöglich), ging es also los. Die Kirche war zum Brechen voll und bereits bei den ersten Liedern standen die Zuschauer auf, sangen mit und tanzten vor den Sängern (wir mussten auch für jedes Lied einen kleinen Tanz einstudieren, der barfuss in der Kirche getanzt wird). Um dem Dirigenten Anerkennung für seine Arbeit zu zollen, geht man zu seinem Podest nach vorne, klopft ihm sachte auf den Kopf und macht dabei eine leichte Kreisbewegung mit der Hand, was unseren Dirigenten bei einem solch begeisterten Publikum sicherlich Kopfschmerzen bereitet hat;-). Das Konzert war ein unvergessliches Erlebnis und der schönste Moment für mich war, als es während unseres letzten Liedes einen Stromausfall gab und die Kirche im Dunkeln lag. Das Publikum zündete Kerzen an, schaltete Handytaschenlampen ein, tanzte vor der Bühne weiter und wir Sänger sangen auswendig weiter (glücklicherweise ein Lied, bei dem auch ich den Text auswendig kenne^^). Eine unbeschreibliche Atmosphäre, wie man sie bei uns wohl nur selten findet.

Ein großes Anliegen von uns zwei deutschen Mädels war die Neugestaltung von Fatous Zimmer. So ließen wir also einen neuen Linoleumboden aus Gambia einführen, räumten den gesamten Raum aus (beim Gepäck von 4 Mädchen ein ziemlich großes Unterfangen) und schickten unsere Brüder zum Farbekaufen los. Die „Zubereitung“ der Wandfarbe stellte sich als äußerst interessant heraus und als die Flüssigkeit im Eimer sich plötzlich erhitzte und Blasen schlug, zückten Anne und ich sofort unsere Fotoapparate;-) Trotz einiger Verzögerungen beim Säubern des Bettgestells (beim Anblick einer Riesenspinne musste ich eine kurze Zwangspause einlegen, als mir meine Brüder mit dem Tier in der Hand hinterherjagten^^), war bei Fatous abendlicher Rückkehr aus ihrem Geschäft dank der Mithilfe der gesamten Familie alles fertig und die Überraschung somit perfekt geglückt.

Nur eine Woche später war schon der Tag des Abschieds von Anne gekommen und so begleiteten wir sie bis zum nächstgelegenen Flughafen in Banjul, Gambia, wo wir die Nacht bei Verwandten verbrachten, bevor wir am nächsten Morgen wieder senegalesischen Boden unter den Füßen hatten.

 

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